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Pioniergeist und Arbeiten im Team - Digitalisierung und Automatisierung auf der Baustelle

Das schwäbisch-bayerischen Unternehmen Rupp Gebäudedruck nutzt bereits heute diese neue Technologie des 3D-Drucks, die Beton ohne den Einsatz einer Schalung formt. Für den Druck eines Einfamilienhauses benötigt der Prozess durchschnittlich nur 48 Stunden inklusive der Kanäle für Wasser- oder elektrische Leitungen. Inhaber Fabian Rupp geht davon aus, dass der 3D-Gebäudedruck bald massentauglich ist: „Uns wurde nach und nach klar, dass diese Technologie wirklich Zukunft hat.“ Er könnte damit recht behalten, denn bereits 2021 wurde im nordrhein-westfälischen Beckum das erste deutsche Wohnhaus aus dem 3D-Drucker nach den Plänen des Büros Mense-Korte Ingenieure +Architekten fertiggestellt.´

Der 3D-Gebäudedruck ist nur eine von vielen zukunftsfähigen Technologien, die durch Digitalisierung und Automatisierung die Baustelle revolutionieren. Aber nicht nur Fertigung und Montage müssen digital sein, sondern auch Werkzeuge und Maschinen, Baustellenflotten sowie unternehmerische Prozesse. Digitalisierte Bauabläufe optimieren und standardisieren Arbeitsabläufe und steigern die Produktivität. Darüber hinaus vermeiden sie Datenredundanzen, Fehler sowie unnötige Transportwege und Papierberge. Dadurch entsteht Planungs- und Kostensicherheit, Material und Ressourcen werden geschont und es gibt bereits im frühen Planungsstadium eine sehr hohe Detailgenauigkeit. Auch gestalterische Freiheiten wie die Realisierung von hoch komplexen Formen werden durch digitalisierte Bauprozesse einfacher bzw. überhaupt erst möglich. Best Practice-Beispiel: der Erweiterungsbau von Basler & Hofmann in Esslingen „Future Tree“. Das Projektteam nutzte für die Realisierung des parametrischen Entwurfs neue Methoden aus dem Labor und überführten diese in die Praxis. Dr. Aleksandra Apolinarska, Postdoktorandin bei Gramazio Kohler Research, ETH Zürich, erklärt: „Das Pilotprojekt zeigt, dass die digitalen Planungsmethoden und die digitale Produktion auch in der Praxis funktionieren.“

Bisweilen gehören digitalisierte Baustellen noch zur großen Minderheit, denn das Baugewerbe ist eine der letzten Branchen mit einem sehr geringen Digitalisierungsgrad. Weniger als sechs Prozent aller Bauunternehmen setzen digitale Planungsinstrumente ein, die über digitale Zeichnungen hinausgehen. Die Bauindustrie steht vor einem Wandel, der durch die Zunahme der verfügbaren Digitalisierungs- und Automatisierungstechnologien vorangetrieben wird.

Voraussetzung: Digitale Planung

Voraussetzung für die digitale Baustelle ist die Etablierung der Planungsmethode BIM. Die Abkürzung steht für Building Information Modeling und bedeutet, dass auf Grundlage von 3D-Modellen ein komplettes Gebäude erst digital geplant und realisiert wird, bevor es in der Realität fertiggestellt wird. Neben klassischen 3D-CAD-Plänen vom Entwurf bis hin zu Ausführungs- und Montageplänen werden darin auch Kosten, Mengen oder Termine erfasst. Bei Änderungen eines Teilaspekts (Parameters) werden auch alle anderen Aspekte automatisch aktualisiert. Der sogenannte „Digitale Zwilling“ lässt den Abgleich zwischen Planungs- und Realdaten zu.

Digitale Fertigung, Montage und Werkzeuge

Zur digitalen Fertigung gehören additive Verfahren wie der 3D-Gebäudedruck. Eine rechnergestützte Fertigung (CIM) wird künftig Standard sein. Ebenso ist zu erwarten, dass digitalisierte Prozesse in der gesamten Wertschöpfungskette eingesetzt werden. Darunter zum Beispiel das Aufmaß mit 3D-Laserscannern. Hier werden Vermessungsgeräte mit BIM-Dateien bestückt, in einen satellitengestützten Vermessungsstab (z.B. GPS) eingelesen und Mitarbeiter vor Ort vermessen Objekte oder Gelände via Tablet. Besonders eignet sich dieses Instrument für Sanierungsbauvorhaben. Ein ebenso wichtiges digitales Tool auf der Baustelle sind Drohnen. Sie überwachen den Bau digital und dienen Bauleitern als Dokumentations- und Archivierungs-Werkzeug. Einige Unternehmen nutzen sie für ihr Projekt-Marketing. Für solche Zwecke eignet sich auch der Einsatz von VR- oder AR-Brillen, die die Realität virtuell abbilden. Sie können aber noch viel mehr: Fahrern von Baufahrzeugen oder Polieren auf der Baustelle ermöglichen sie den Abgleich zwischen Planung und Realität.

Digitale Maschinen und Baufahrzeuge

Die Digitalisierung verändert die Baumaschinenindustrie bis hin zu autonom fahrenden Maschinen. Satellitengestützte Technologien wie GPS spielen schon heute tragende Rolle. Insbesondere beim Steuern von Maschinen oder Baufahrzeugen, die dadurch präzise ausheben, graben oder planieren. Die Technologie bildet die digitale Schnittstelle zu den Vermessungsgeräten und Planungsdaten. Fahrer erhalten über ein Display oder über eine VR-Brille sämtliche Informationen über den Soll-Ist-Arbeitsstand. Noch während des Arbeitsvorgangs fließen Ist-Informationen zurück in die BIM-basierten Planungssysteme. Vieles davon hat derzeit allerdings noch visionären Charakter. Peter Guttenberger, verantwortlich für die Baumaschinentechnik bei Max Bögl, resümiert: „Die Umsetzung zur Baustelle 4.0 gestaltet sich noch etwas zögerlich. Wir müssen versuchen, alle Player im Bauprozess auf Kurs zu bringen. Die Entwicklungen sind noch nicht überall gleich vorangeschritten. Wir müssen aber alle bei der Umsetzung eines Projektes alle zusammenführen, um die Vorteile wirklich nutzen zu können.“

„Tracking and Tracing“ von Baumaterialien und Baugerätschaft

Was heute noch vielen analogen Baustellen Zeit kostet, sind die Identifizierung und Lokalisierung von Bauteilen oder Baumaterial. Dank des sogenannten IoT, dem Internet der Dinge, können physische Objekte wie Baumaschinen, Bauteile oder -material mit dem Internet verbunden werden. Informationen über den Ausführungsstand vor Ort lassen sich damit automatisch generieren und austauschen. Mit dem Einsatz von RFID- oder Bluetooth-Systemen spart die digitale Baustelle wertvolle Zeit. Ebenso ermöglichen diese Technologien eine effizientere Steuerung und Echtzeitverfolgung von Lieferung, Lagerung und Einbau. Bei großen Bauunternehmen übernehmen integrierten Systeme das gesamte Flottenmanagement – und zwar von der Auftragsannahme bis hin zur -abrechnung. In einem Forschungsprojekt am Lehrstuhl für Fördertechnik, Materialfluss, Logistik der Technischen Universität München steht im Mittelpunkt das Tracking und Tracing von Baumaterialien und Baugerätschaften. Eine Simulation gleicht Real- mit Planungsdaten ab und überträgt die Information ins Baustellenleitsystem zum Fahrer. Projektbeteiligter Ingenieur Stephan Kessler benennt einen wesentlichen Vorteil: „Wir erhöhen damit die Effizienz und die Nachhaltigkeit beim Bauen.“

Digitale Kommunikation und unternehmerische Prozesse

Besonders wichtig ist auf der digitalen Baustelle der Austausch innerhalb des Projektteams. Ziel ist es, allen am Bau Beteiligten eine effiziente Zusammenarbeit bei der Realisierung komplexer Bauaufgaben zu gewährleisten. Digitale Lösungen werden in einer zentralen Datenbank verarbeitet und gespeichert. Der Trend geht zu internetbasierten Cloud-Lösungen, da sie mobiles Arbeiten ermöglichen. Digitale Austauschplattformen vernetzen alle Projektbeteiligte aus allen Gewerken über schnittstellenbasierte Module wie z.B. Bautagebuch, Abnahmeprotokoll, Aufgaben- und Mängelmanagement oder das Protokollwesen. Ebenso enthalten sie Kommunikationsplattformen, die das klassische E-Mail-Postfach ersetzen.

Herausforderungen der Baubranche

Die Bauindustrie von morgen muss viele Herausforderungen meistern. Allem voran steht die Notwendigkeit, den ökologischen Fußabdruck des Bauwesens zu reduzieren. Bauabfälle müssen minimiert werden, smarte Städte (Smart Citys) sollen entstehen und auch minimalinvasive Sanierungen gehören dazu. Gleichzeitig muss ein Umgang mit den demografischen Strukturen einbezogen werden. Und: Der Baubranche fehlen Fachkräfte und Nachwuchs. Rupp Gebäudedruck beispielsweise hat mit der Etablierung des 3D-Betondrucks aus dieser Not heraus eine Tugend gemacht. Zum einen spart das Unternehmen Fachkräfte durch die Automatisierung, zum anderen lockt die bestechende Innovationskraft Personal an. Davon ist Fabian Rupp überzeugt: „Durch diese innovative Technologie können wir das Berufsfeld Maurer wieder attraktiver gestalten.“

Fazit

Digitale Prozesse sind also unbedingt notwendig, um den Herausforderungen des Bauens gerecht zu werden. Der wachsende Bedarf an neuen, digitalen Bauprozessen muss aber auch politisch gewollt und getragen werden, denn für die praktische Umsetzung fehlen noch die Standards und auch der Internet-Breitbandausbau vollzieht sich viel zu langsam. Dennoch: Nordrhein-Westfalen hat bereits 2018 als erstes deutsches Bundesland im Koalitionsvertrag vereinbart, die Chancen der Digitalisierung in der Baupolitik zu nutzen. Auf technischer Seite sind ebenfalls noch viele Zwischenschritte nötig. Oftmals erschlägt die genutzte Software nicht alle Wünsche und nicht selten mangelt es an tragfähigen Schnittstellenlösungen. Alle am Bauprozess Beteiligten sind also gefordert, die Chancen der Digitalisierung zu ergreifen. Es braucht Pioniergeist und die Bereitschaft, interdisziplinär zu arbeiten. Das gilt für Forschung und Industrie genauso wie auch für Architekten und Planer, für Bauunternehmen und Handwerksbetriebe. Alle müssen neu denken und ihr Wissen in die Praxis übertragen, um auch gesellschaftlich tragfähig zu sein.

Quellen Zitate:

Zitat Peter Guttenberger, Interview Bauforum 24. VDBUM

Zitate Fabian Rupp, 3D-Betondruck

Zitat Dipl.-Ing. Stephan Kessler, Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik (Prof. Fottner), Technische Universität München, Tracking and Tracing

Zitat Dr. Aleksandra Apolinarska/Gramazio Kohler Research, ETH Zürich/Future Tree