Zirkuläres Bauen ist die nachhaltige Kreislaufwirtschaft im Bauwesen und ermöglicht einen schonenden Ressourcen-Umgang. Ob Wiederverwertung von Ziegeln, Fensterglas oder Stahl: Der Zukunftstrend „Cradle-to-Cradle“ erfordert digitale Lösungen.
Das Zeitalter der linearen Baukultur ist vorbei. Die Zukunft braucht zirkuläres Bauen. Dahinter steht die Idee, das Bauwerk als Materiallager zu verstehen und das Bauen der Zukunft als einen durchgängigen Wertstoffkreislauf im Sinne von Cradle-to-Cradle zu begreifen. Die Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft im Bauwesen erfordert zahlreiche digitale Techniken und neue Planungswege, von der Materialdatenbank über BIM und den digitalen Zwilling bis zur digitalen Baustelle. Die digitalBAU 2024 stellt die vielfältigen Optionen für zirkuläres Bauen vor.
Am 2. August 2023 stand das Ressourcenkonto der Erde auf Null. Seitdem leben wir global auf „Pump“ – und arbeiten weiter mit seltenen Erden, Sand, Erzen und anderen Materialien, die die Erde nicht so umfangreich zur Verfügung stellen kann, wie wir sie im Zeitraffer verbrauchen. Seit gut 50 Jahren rückt der sogenannte „Earth Overshoot Day“, also der Tag, an dem das jährlich zur Verfügung stehende Kontingent der Erde an nachwachsenden Rohstoffen verbraucht ist, im Jahresverlauf immer weiter nach vorne.
Als einer der größten Rohstoffverbraucher trägt die Baubranche eine große Verantwortung. Allein in Deutschland verarbeitet sie laut Umweltbundesamt mehr als 70 Prozent aller hierzulande abgebauten Rohstoffe (Quelle). EU-weit sieht es ähnlich aus: Im Jahr 2020 entfielen 37 Prozent des EU-weiten Stahlbedarfs auf diesen ressourcenintensiven Wirtschaftssektor (Quelle), und Sand ist inzwischen der am meisten gebrauchte Rohstoff der Welt – vorzugsweise verwendet im Bauwesen (Quelle). Wie Bausand werden auch Aluminium, Eisenerz und Gips immer knapper.
Zirkuläres Bauen gewinnt vor diesem Hintergrund zunehmend an Bedeutung: Angesichts des weiterwachsenden Bedarfs wird es immer wichtiger, vorhandene Ressourcen zu schonen und Rohstoffe sowie Bauprodukte zu recyceln. Anders als bei der früher üblichen linearen Bauweise sollen Materialien nicht mehr nach dem Ende der Lebensdauer des Baukörpers entsorgt, sondern wieder verwertet werden. Eine solche Kreislaufwirtschaft im Bauwesen ist die einzige Möglichkeit, welche die begrenzten Ressourcen der Erde sowie der Klimawandel noch zulassen.
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Der Ausweg aus diesem Dilemma setzt daher vor allem auf zirkuläres Bauen, auch Cradle-to-cradle genannt (von der Wiege bis zur Wiege). Aber was verbirgt sich eigentlich dahinter?
Zirkuläres Bauen beschreibt ein durchgängiges Kreislaufprinzip. Biologisch abbaubare Verbrauchsgüter werden in den natürlichen Rohstoffkreislauf zurückgeführt. Technische Gebrauchsgüter sollen nach ihrer Nutzung in sortenreine Ausgangsstoffe zerlegt und dem technischen Kreislauf wieder zugeführt werden. Dabei soll die stoffliche Qualität der chemisch unbedenklichen Inhaltsstoffe erhalten bleiben, sodass kein Abfall mehr entsteht.
Wendet man dieses Prinzip im Sinne des zirkulären Bauens auf den Gebäudebestand an, so wird dieser zum wertvollen Materiallager bzw. Rohstoffkonto. Jedes Stück Holz, jedes Fenster, jede Schraube und jede Tür stellt einen materiell und finanziell bedeutenden Posten dar, der nach dem Ende der Erstnutzung im Sinne des Urban Mining wieder aufgebaut und wiederverwendet oder recycelt zu werden soll.
Zirkuläres Bauen setzt neben Recycling besonders auf Urban Mining, der gezielten Rückgewinnung von Bauressourcen aus städtischen Abfallmaterialien. Die konsequente Registrierung, Nutzung und Optimierung vorhandener Materialien im Bauwesen ist nachhaltig und ressourcenschonend. Wertstoffe werden so in geschlossenen Kreisläufen intensiv und langfristig genutzt. Pilotprojekte wie die Stadt Heidelberg gehen dabei mit gutem Beispiel voran.
Darüber hinaus berücksichtigt zirkuläres Bauen Umwelt- und Gesundheitsaspekte und setzt bewusst auf langlebige Produkte. Recycelte Materialien werden entweder direkt in ein neues Objekt eingebaut – z.B. eine neue Fassade oder ein neues Dach. Alternativ werden Güter aufgearbeitet und so weit modifiziert, dass sie der neuen Aufgabe zugeführt werden können.
So können komplette Gebäude mit gebrauchten Bauteilen aus einem intelligenten Recycling errichtet werden. Beispiele für zirkuläre Architektur mit Bestandsmaterial sind das Recyclinghaus in Hannover oder die Recyclingaufstockung in Kelsterbach. Nachhaltiges Bauen ist mit solchen Lösungen garantiert.
Voraussetzung für kreislauffähiges Bauen ist neben dem sortenreinen Rückbau der Bauprodukte eine Bauweise, die nach dem Baukastenprinzip funktioniert. Dies ist beispielsweise beim modularen oder seriellen Bauen der Fall. Dabei wird das Gebäude nicht mehr komplett vor Ort hergestellt. Stattdessen werden die Elemente oder komplette Module im Werk vorgefertigt und auf der Baustelle direkt montiert.
Die Bandbreite reicht von der seriell produzierten Außenwand über das fertig ausgestattete und „onsite“ angelieferte Badezimmermodul. Sogar ein ganzes Haus kann samt Decken, Dach und Fassade, aus vorgefertigten Modulen bestehen. Ein Beispiel ist etwa eine modular aufgebaute Wohnanlage für Klinikmitarbeiter in Esslingen.
Neben nachhaltigen Materialien und fortschrittlichen Bautechniken setzt eine Kreislaufwirtschaft im Bauwesen auch digitale Lösungen für die Planung und Materialwirtschaft voraus. Digitale Plattformen und automatisierte Werkzeuge erleichtern das ressourcenschonende und zirkuläre Bauen, indem alle Beteiligten den Bauprozess ab der Planung transparent gestalten und durchgängig abwickeln können. Diese Lösungen ermöglichen beispielsweise, Rohstoffe und Produkte zu kennzeichnen und rückzuverfolgen sowie Vorgänge zu dokumentieren. Dazu gehört auch das Management wichtiger Daten wie baulicher Details und verwendeter Baumaterialien – für durchgängige und transparente Planungs- und Baustellenprozesse.
Um im Rahmen des zirkulären Bauens die Produktnachhaltigkeit zu bewerten und umweltrelevante Aspekte zu berücksichtigen, ist eine Kategorisierung von Materialien und Produkten notwendig. Relevante Daten sind beispielsweise technische Informationen, Angaben zu den jeweiligen Lebenszyklusmodulen, der Umweltkennwerte sowie ggf. der Prüfergebnisse. Umweltproduktdeklarationen (EPDs) sind „Steckbriefe“ zur Bewertung der Produktnachhaltigkeit. Die genaue Bewertung des Bauproduktes muss dabei jeweils im Rahmen einer ganzheitlichen Lebenszyklusanalyse erfolgen. Zuverlässige Daten über die zirkulären Produkteigenschaften zeigt das PCDS (Product Circularity Data Sheet) auf, ein Datenblatt zur Kreislauffähigkeit von Produkten.
Eine umfassende Dokumentation ist eine Grundvoraussetzung für eine Kreislaufwirtschaft im Bausektor. Die in einem durchgängig digitalen Planungsprozess gewonnenen Materialdaten lassen sich in sogenannten Material- oder Gebäudepässen sammeln, die auf Materialplattformen wie madaster.de, im Digitalen Gebäuderessourcenpass von concular.de oder dem DGNB Gebäuderessourcenpass virtuell hinterlegt werden.
Planer und Immobilien- bzw. Bauunternehmen erfassen damit virtuell die Materialien und Produkte, die in einem Gebäude – egal ob Neubau oder Bestand – verarbeitet sind und zahlen so quasi den Geldwert der Balken, Türen und Fenster auf ein Materialkonto ein. Durch die Verknüpfung einer von EPEA entwickelten Material- und Produktdatenbank mit der Madaster-Plattform ist es darüber hinaus möglich, CO2-Emissionen und die Kreislauffähigkeit von Immobilien zu berechnen. Angaben zur Materialherkunft und zur Verwertung werden dabei schon im Datensatz hinterlegt.
Nach dem Rückbau des betreffenden Gebäudes können die Materialien entsprechend des Cradle-to-Cradle Prinzips wiederverwertet oder in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden. So ist es machbar, mit den begrenzten Ressourcen unserer Erde bestmöglich und mit möglichst geringem CO2-Fußabdruck zu agieren, sie einzusparen oder – angesichts steigender Materialkosten – sogar finanziell vom erneuten Einsatz zu profitieren.
Zu einer runden Sache wird das zirkuläre Bauen und die damit verbundene Kreislaufwirtschaft der Baubranche schließlich, wenn die digitale Planung und Dokumentation Hand in Hand mit einer digital gesteuerten Fertigung sowie Produktion geht. Mit BIM und 3D-Planung generierte geometrische Daten, Materialien und Produkteigenschaften können dabei im Gebäudemodell hinterlegt und bei der Ausschreibung und während der Bauausführung ergänzt und angepasst werden. So entsteht ein transparentes Gebäudemodell, das alle im Gebäude gebundenen Ressourcen abbildet.
Als sogenanntes „as built“-Modell ermöglicht es schließlich die Weiterverwendung der Daten für den Gebäudebetrieb, sodass dieser ressourcenschonend und nachhaltig abgewickelt werden kann – bis am Ende des Lebenszyklus der Rückbau und das Recycling anstehen. Dann beginnt der Kreislauf von vorn.
Die digitalBAU 2024 zeigt die Fülle der digitalen Werkzeuge und Dienstleistungen rund um die Möglichkeiten der zirkulären Architektur und des zirkulären Bauens in zahlreichen Vorträgen, vielfältigen Diskussionsrunden und auf den Ständen der hochspezialisierten Aussteller im Detail.
Im Fokus stehen dabei unter anderem auch die zeitgemäße Planungsmethoden wie BIM, mit deren Hilfe sich digitale und verlässliche Gebäudemodelle, die „digitalen Zwillinge“, schaffen lassen. Durch den Einsatz digitaler Planungs-, Koordinations- und Ausführungs-Werkzeuge können Fehlerquellen bereits im Vorfeld der Bauausführung erkannt und beseitigt sowie die Planungs- und Ausführungsqualität eklatant gesteigert werden. Der Material- und Rohstoffverbrauch bzw. der Verbrauch von Bauprodukten lässt sich auf diese Weise weiter optimieren.
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