EN

Industrie 4.0 auf der Baustelle?

Baustelle 4.0 – das klingt vielversprechend. Doch stehen wir in Deutschland und darüber hinaus mit der sogenannten vierten industriellen Revolution auf der Baustelle erst am Anfang. Denn an der Art des Bauens hat sich seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts und trotz Digitalisierung der Planungsprozesse bisher wenig verändert. Dennoch ist Bewegung in Planung und Bauausführung gekommen, obwohl sich auch in Zukunft optimierte Bauprozesse und digitalisierte Baustellenabläufe stark von der Industrieproduktion unterscheiden werden.

© Messe München GmbH

Robotik im Bauwesen

Baustelle 4.0 – das klingt vielversprechend. Doch stehen wir in Deutschland und darüber hinaus mit der sogenannten vierten industriellen Revolution auf der Baustelle erst am Anfang. Denn an der Art des Bauens hat sich seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts und trotz Digitalisierung der Planungsprozesse bisher wenig verändert. Dennoch ist Bewegung in Planung und Bauausführung gekommen, obwohl sich auch in Zukunft optimierte Bauprozesse und digitalisierte Baustellenabläufe stark von der Industrieproduktion unterscheiden werden: Industrielle Fertigung ist eben nicht 1:1 auf den Bauablauf übertragbar. Wie kann also eine digitalisierte Bauproduktion aussehen, welche besonderen Anforderungen werden zum Beispiel an den Einsatz von Robotern auf der Baustelle gestellt und welche Robotertypen gibt es bereits? Und wie kann und muss eine Baustelle aussehen, in der ihr Einsatz sinnvoll sein ist und sich wirtschaftlich abbilden lässt?

Die Bauwirtschaft steht vor der größten Herausforderung seit Jahrzehnten: Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen in Deutschland konnte die Bauwirtschaft ihre Produktivität in den letzten 30 Jahren trotz eines Anstiegs der Bautätigkeit in den vergangenen Jahren nicht nennenswert erhöhen. Gleichzeitig macht sich der demografische Wandel auf dem Bauarbeitsmarkt mit stagnierenden Beschäftigungszahlen bemerkbar. Das Bauhandwerk hat schon heute große Schwierigkeiten, junge Menschen für die Ausbildung in einem der Bauberufe zu gewinnen; die Zahl neuer Auszubildender kann die Verluste durch den Abgang in die Altersrente oder in andere Jobs nicht mehr ausgleichen. An einer nachhaltigen und produktivitätssteigernden Verbesserung der Bauprozesse führt also kein Weg vorbei.

Digitalisierung der Bauproduktion – Robotik auf der Baustelle

Einen Lösungsansatz für den drohenden Fachkräftemangel versprechen digitale Technologien im Umfeld von Industrie 4.0. – wie etwa eine Produktivitätssteigerung der Bauproduktion durch den Einsatz von mehr oder weniger intelligenten Robotern. In der Vorfertigung von Bauprodukten werden bereits Fertigungsroboter oder intelligente Werkzeuge eingesetzt. Doch wie sollten Roboter aussehen, die man auch auf der Baustelle einsetzen kann?

Durch die große Variabilität von Baustellen und Bauproduktion ist der Robotereinsatz im Gegensatz zur Industrieproduktion wesentlich schwieriger und die Komplexität der Anforderungen an seine Leistungsfähigkeit entsprechend anspruchsvoll. Schon bei der Errichtung von einfachen Bauwerksteilen (zum Beispiel einer Mauerwerks- oder Stahlbetonwand) ist eine Vielzahl völlig unterschiedlicher Arbeitsschritte notwendig. Gleichzeitig sind Baustellen selbst ein vielschichtiges und sich stets veränderndes Arbeitsumfeld. Sowohl die „chaotische Umgebung“ wie die Komplexität der Tätigkeiten beim Bau erschweren den Einsatz von Robotern erheblich. Im Gegensatz zur verarbeitenden Industrie, in der Mobilität und Intelligenz der Roboter kaum eine Rolle spielen, müssen die auf der Baustelle eingesetzten Roboter über eine hohe Flexibilität verfügen, um an den Arbeitsfortschritt angepasst werden zu können. Darüber hinaus ist ein gewisses Maß an Intelligenz und Mobilität notwendig, um auf eine sich verändernde Umgebung reagieren können. Auch für die Sicherheit der menschlichen Arbeitskräfte müssen Lösungen gefunden werden, damit auf der Baustelle ein getrennter, gefahrloser und paralleler Einsatz von Robotern und Bauarbeitern sichergestellt werden kann.

Diese neuen Anforderungen führten zu einem Paradigmenwechsel in der Roboterkonstruktion. Die jüngsten Entwicklungen orientieren sich an sogenannten „weichen“ Robotern, die im Gegensatz zu ihren „starren“ Vorgängern aus der Industrieproduktion für die große Aufgabenvarianz auf der Baustelle geeignet sind. Bei ihrer Programmierung kommen neue, leistungsfähigere Software und hochentwickelte Sensortechnik im Bereich der Bilderkennung, Widerstandssensorik oder Beschleunigungsmessung zum Einsatz. Für eine robotergestützte Qualitätskontrolle werden auch Wärmebildkameras, Laserscanner und Steigungsmesser eingesetzt. Die Forschung beschäftigt sich bereits mit einer zweiten Generation von Robotern, die dank flexibler Komponenten in ihrer Flexibilität und Leistung dem menschlichen Vorbild nachempfunden sind und sich auch auf unebenem Gelände autark bewegen können.

Mobile Robotersysteme

Für den Mauerwerksbau stehen bereits mobile Roboter zur Verfügung, die auf Bodenplatten oder Geschossdecken Mauerwerk fertigen können. Die bisher nur in Pilotanwendungen erprobten Systeme müssen dabei noch auf jedem Geschoss immer wieder neu eingerichtet werden. „Hadrian X“ der australischen Firma Fastbrick Robotics wurde bereits zum Bau von Gebäuden eingesetzt, bei denen er 26 Quadratmeter Ziegel pro Stunde gemauert hat. Allerdings ist aktuell fraglich, ob der Einsatz auch unter deutschen Rahmenbedingungen möglich ist, denn mit einem 30 Meter langen Roboterarm und einem schweren Unterbau ist Hadrian X schwer zu positionieren.

Doch es geht weitaus kompakter. Sein kleinerer Roboterkollege „SAM 100“ von der Firma Construction Robotics verfügt über eine mobile Plattform und kann mit seinem kürzeren Roboterarm gerade verlaufende Mauerwände erstellen, funktioniert aktuell jedoch noch nicht mit den uns bekannten Hochleistungsziegeln. Eine ganzheitlichere sowie vielversprechende Lösung stellen die sogenannten „Seilroboter“ dar. Sie lassen sich äußerst flexibel an einem Seilgerüst dreidimensional hin- und her bewegen, können Steine greifen, versetzen und sie vermauern. Ihr Einsatz auf der Baustelle wird zurzeit unter anderem am Lehrstuhl für Mechatronic an der Universität Duisburg-Essen erforscht.

Am weitesten entwickelt ist die 3D-Betondrucktechnologie als vollautomatisiertes und additives Fertigungsverfahren. Der modulare Betondrucker „BOD2“ ist mit einem Meter pro Sekunde der derzeit schnellste Portaldrucker der Welt. BOD2 muss lediglich einmal kalibriert werden und kann sich an jede Position innerhalb einer Rahmenkonstruktion bewegen. In Deutschland hat die Firma Peri mit dem Baudrucker der Firma Cobod inzwischen bereits erste Projekte gedruckt.

Ein weiteres intelligentes System kommt aus der Schweiz. Der „InSitu Fabrikator (IF)“ der ETH Zürich ist ein umgebungsintelligenter Bauroboter für die Fabrikation von Bauelementen direkt auf der Baustelle und kann selbständig Betonformen und -wände durch den Einsatz der sogenannten „Mesh-Mould“-Technologie herstellen. Dabei werden komplexe Geometrien ohne Schalaufwand produziert. Dank seines hochentwickelten Sensorik- und Steuerungssystems kann er automatisiert navigieren, seinen Einsatzort selbständig lokalisieren und auf Fabrikationstoleranzen reagieren.

Neben den stationären oder verfahrbaren Systemen geht die Entwicklung auch im Bereich der menschenähnlichen Robotertechnik weiter voran. So handelt es sich bei dem „HRP-5P“ des japanischen National Institute of Advanced Industrial Science und Technology (AIST) um einen humanoiden Roboter. Er ist als multitask-Roboter so konstruiert, dass er Aufgaben wie ein Mensch erfüllen kann; er kann unabhängig mehrere Arbeitsschritte erledigen und ist darüber hinaus in beengter Umgebung einsetzbar. Ebenfalls Robotertechnik entwickelnde Firmen wie Fortis oder Daewoo gehen einen anderen Weg und arbeiten mit tragbaren Exoskeletten, die problemlos in den Bauablauf integriert werden können. Sie werden meist direkt am Körper getragen und erhöhen die Leistungsfähigkeit der menschlichen Träger, die mit ihrer Unterstützung schwere Lasten ohne gesundheitliche Schäden heben.

Robot-oriented-Design oder Baustelle 4.0?

Voll- oder teilautomatisierte Baustellen, wie sie uns aus dem asiatischen Raum gezeigt werden, sind in Deutschland und Europa bisher nur schwer vorstellbar. Auch eine extreme Standardisierung von Gebäuden und Bauelementen zur Optimierung eines effizienten Robotereinsatzes im Sinne von „Robot-Oriented-Design“ ist in den kommenden Jahren bei uns nicht zu erwarten. Man kann jedoch davon ausgehen, dass schon in naher Zukunft Roboter die Bauarbeiten auf der Baustelle bei sich wiederholenden und körperlich anstrengenden Tätigkeiten massiv unterstützen und damit zur Flexibilisierung des Bauprozesses und zur Optimierung der Produktivität beitragen werden. Dafür ist jedoch die gesamte Planung und Baustellenlogistik so zu strukturieren, dass Roboter auf der Baustelle auch wirklich effizient und zielgerichtet eingesetzt werden können.

Ein wesentlicher Schritt hin zur Baustelle 4.0 ist die Digitalisierung sämtlicher Bauabläufe über alle Bauphasen vom Rohbau über die Ausbaugewerke hinweg. Die Digitalisierung muss hierfür die gesamte Wertschöpfungskette umfassen und alle Planungs-, Produktions-, Bestell-, Liefer- und Montageprozesse und ebenso die betriebswirtschaftlichen Abläufe einschließen. Das betrifft neben der Planung bis zur Vorkonfektionierung der Materiallieferungen genauso die Arbeitsvorbereitung, sämtliche Materialflüsse, Maschinenbewegungen und Gerätebestände auf der Baustelle. Die Baustellenorganisation wird sich damit vollkommen verändern und neue, bisher nicht absehbare Arbeitserleichterungen für die Bauarbeiter und Fachunternehmer vor Ort schaffen.

© Messe München GmbH
© Messe München GmbH